VORBEMERKUNG

 

Anders-Welt, Nirgend-Welt … Ist phantastische Literatur als – im weitesten Sinne – Gegenentwurf zur bestehenden Welt überhaupt zeitgemäß? Gibt es noch Ausblicke auf ein Morgen? Oder hat sich all das inzwischen in einer unhinterfragten Tristesse verflüchtigt? Bleibt uns nur noch ein ungeliebt dahingenommenes ewiges Jetzt?

Die Zeit der großen Staatsutopien, von Platon über Morus bis hin zu Edward Bellamy, scheint jedenfalls vorbei zu sein. Zusammen mit ihnen sind in den letzten Jahrzehnten auch Ansätze alternativer Gesellschaftsentwürfe im literarischen Orkus verschwunden. Technische Utopien sowie die noch in den 1980iger Jahren beliebten Dystopien, also Warnungen vor möglichen gesellschaftlichen oder technischen Fehlentwicklungen, haben derzeit mit dem Phänomen zu kämpfen, dass sie oft schon von der Wirklichkeit eingeholt sind, bevor das Buch überhaupt die Druckerei verlassen hat. Erschöpft sich die Science Fiction also mittlerweile in phantasieloser Beschreibung von Weltraumraserei und Roboterschlachten? (Letztgenannte sind übrigens längst keine SF mehr, sondern in einigen Teilen der Erde blutige Realität.)

Vorstellungen, wie es in ferner Zukunft aussehen könnte, sind allerdings viel älter als die SF-Literatur, reichen zurück bis in die Zeit der Mythen und Legenden. Und es ist eigentlich nicht einzusehen, warum die Menschen plötzlich aufhören sollten, von einer anderen Welt zu träumen.

Vergleichsweise neu ist ein in der Science Fiction deutlich erkennbarer Trend zur lokal angesiedelten Geschichte. Vermutlich liegt die Ursache im immer stärkeren Auseinanderdriften der verschiedenen Regionen unseres Planeten. Immer mehr Menschen interessieren sich dafür, wie es in ihrer gewohnten Umgebung in der Vergangenheit aussah und in ferner Zukunft möglicherweise aussehen wird, fragen sich, ob die geliebte Landschaft und ihre Kulturdenkmäler auch einer künftigen Welt erhalten bleiben.

Sammelbände regionaler Verlage mit landesspezifischen SF-Erzählungen hat es freilich auch schon in der Vergangenheit gegeben. Als besonders gelungenes Beispiel sei hier der Band „Die Beste der Welten“ aus dem Dacia-Verlag genannt. Ich hatte ihn 1981 in einer Buchhandlung entdeckt, als ich als Tramper in Rumänien unterwegs war. Und das Werk während der erzwungenen Wartepausen am Rande kaum befahrener Landstraßen gierig verschlungen.

Schon damals bemerkte ich das Besondere an solchen Büchern – in Rumänien ins Deutsche übersetzt, hatten die Erzählungen einen authentischen Stil, anders als beispielsweise in Auswahlbänden verschiedener DDR-Verlage. Ähnlich gefielen mir auch die meisten Bücher des sowjetischen Progress-Verlages oder des tschechoslowakischen Artia-Verlages. Mit dem Transformationsprozess in Osteuropa seit 1989 gehören solche deutschsprachige Editionen örtlicher Verlage dort leider der Vergangenheit an. Immerhin kenne ich zwei spanische Verlage, die in den letzten Jahren exklusiv für Urlaubsgäste deutschsprachige SF-Bücher herausgebracht haben.

 

Irgendwann kam mir die Idee, regionale SF-Erzählungen aus Thüringen zu sammeln und zu veröffentlichen. Zwei Prämissen hatte ich gesetzt: Der Autor bzw. die Autorin muss einen engen Bezug zu Thüringen haben und die Erzählung sollte zumindest teilweise in Thüringen handeln. Manche Hindernisse und die Skepsis von Beteiligten waren zu überwinden. Doch nun liegen in diesem Band acht Erzählungen vor, die die selbstgestellten Bedingungen erfüllen. Besondere Freude bereitet mir, dass es gelang, nicht nur von gestandenen Autoren Beiträge zu erhalten, sondern mit Lena Lemke und Hannah Rose auch zwei begabte Nachwuchstalente für eine Erstveröffentlichung zu gewinnen.

 

Das Spektrum der acht Erzählungen ist weit gefächert. Hannah Rose schildert in ihrer Erzählung „Heimkehr“ die Rückkehr einer jungen Thüringerin in eine binnen weniger Jahre stark veränderte Heimatstadt. Um Kontakte mit Außerirdischen geht es in der Geschichte „Chrull“ von Jürgen Walter. Mit „Donnerstein“ präsentiert Rolf Krohn der Leserschaft wieder eine seiner Geschichten um Zeitspalten und nicht erklärbare Ereignisse. Gerd-Michael Rose thematisiert in „Die Ungebetene“ mögliche Folgen des Klimawandels für die einheimische Natur. Gerd Bedszent liefert mit der in unserer Gegenwart handelnden Erzählung „Finklbergs Plan“ einen Rückblick auf grausige Episoden der jüngeren Vergangenheit Thüringens und einen ungewöhnlichen Aufbruch ins Weltall. Axel Wolf führt die Leser mit seiner dystopischen Geschichte „Such‘ den Atomschatz!“ in eine ganz ferne Zukunft. Detlef Köhlers Erzählung „Jarons Schmicat“ führt von einer Thüringer Sternwarte aus geradewegs in ein fernes Sonnensystem, wo möglicherweise eine hochentwickelte Zivilisation ihrer Entdeckung harrt. Und in Nils Wiesners phantastischer Geschichte „Miles de Tannhusen“ geht es um einen Besucher aus dem tiefsten Mittelalter.

 

Neugierig geworden? Dann lade ich Sie ein, in diesem Buch zu lesen, was das Morgen und das Übermorgen dem Land Thüringen wohl zu bringen vermag.

 

Der Herausgeber